Nile Rodgers: Le Freak

Niemand kennt Nile Rodgers, aber JEDER kennt seine Songs. Als Teenager kam Nile mit Freaks in Berührung und wurde anschließend selber einer: Le Freak.

Nile Rodgers schuf zeitlose Disco-Klassiker wie „Le Freak“ und „My Forbidden Lover“ für Chic oder „Lost in Music“ und „We Are Family“ für Sister Sledge. Aus seinem Hit „Good Times“ machte die Sugarhill Gang 1979 den Hip-Hop-Klassiker „Rapper’s Delight“. In den Achtzigern war der Rhythmusgitarrist als Produzent und Hitschreiber für David Bowie („Let’s Dance“), Diana Ross („Upside Down“) und Madonna („Like a Virgin“) tätig. Zuletzt landete er mit Daft Punk und Pharrell Williams die Hits „Get Lucky“ und „Lose Yourself to Dance“.

Die Musik klingt leichtfüßig, seine Kindheit war es indessen nicht. Die Mutter war schwarz, der Stiefvater weiß, und beide heroinabhängig. Der biologische Vater war ein obdachloser Alkoholiker. Drogen waren ein fester Bestandteil des Familienlebens. Und Musik, vor allem Jazz.

An einem warmen Sonnabend im Summer of Love trafen der 15-jährige Nile und sein Schulfreund Ralph auf eine Gruppe, die sich selbst als „Freaks“ bezeichnete. Die „Freaks“ benutzten ein eigentümliches Vokabular. So fragten sie die beiden Teenager: „Habt ihr Lust auf einen Trip?“ Als diese bejahten, fuhren die Freaks sie in eine Hollywood-Villa, wo eine Party zu laufen schien. Und wieder fragten die Freaks: „Habt ihr Lust auf einen Trip?“ Ein weiteres Kopfnicken schickte das unschuldige Duo diesmal auf einen LSD-Trip.

Rodgers in seiner Autobiografie: „Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie wir das LSD zu uns nahmen, denn furchtlos rauchten, tranken und schluckten wir alles, was sie uns rüberreichten.“

Der Trip verlief sehr amerikanisch. Nile und Ralph lümmelten auf der Couch, sahen fern und mischten ihren kindlichen Bewusstseinsstrom mit Television. Nebenan lief psychedelische Musik, „The End“ von den Doors sowie die Beatles. Und einmal streckte Timothy Leary höchstselbst seinen Kopf durch die Tür.

Nach dieser Dauersitzung kehrte Nile zwar nach Hause zurück, aber als jemand anderer. Der Wochenendtrip war sein Damaskuserlebnis: „Ich hatte das Haus tags zuvor als Klebstoff schnüffelnder Möchtegern-Zuhälter verlassen, und nun war ich zurückgekehrt als ungewaschener und erschöpfter Freak, der eine neue Sprache sprach…“ Sein Idiom war um Slang-Ausdrücke wie heads, tripping, peyote, acid, yage, surfers und pigs reicher geworden, sein Musikgeschmack um die Beatles, Doors und Monkees erweitert. „Freak“ wurde seine Lieblingsvokabel, denn er wollte nun selbst einer sein.

Nile Rodgers tauchte ein in die Welt der psychedelischen Jugend- und Gegenkultur. Er hing mit Gleichgesinnten ab, übte Gitarre, schluckte Acid, kam gut drauf, übte Gitarre, schluckte Acid, kam schlecht drauf, übte Gitarre, jammte mit anderen, einmal sogar mit Jimi Hendrix („Ich hatte mir gerade Orange Sunshine-LSD eingeworfen und war ordentlich am Trippen“).

Mit dem Bassisten Bernard Edwards gründete er die Big Apple Band. Unter dem Eindruck weißer Bands wie Roxy Music und Kiss mutierten die Jazz-Rocker schon bald zur glitzernden Disco-Formation Chic. Chics Musik war gekennzeichnet durch einen fortlaufenden Strom tanzbarer Wohlfühlmelodien. Ihre vierte Single ist die meistverkaufte Einheit der Plattenfirma Atlantic Records. Der Titel: „Le Freak“.

Auch hier spielte LSD eine Rolle, wenn auch keine tragende, denn diese Phase war für Rodgers vorbei. Keine andere als Grace Jones höchstselbst hatte Rodgers und Edwards zur Silvesterparty 1977 in die New Yorker Vorzeige-Disko Studio 54 eingeladen. Der Türsteher wies die beiden jedoch entnervt ab mit den Worten: „Fuck off!“ Verärgert kehrten sie ins Rodgers nahegelegene Wohnung zurück und reagierten ihren Frust durch spontanes Jammen ab. Über ein spannungsgeladenes Riff skandierten sie unablässig „Fuck off“. Genau das war’s! Das war die nächste Platte! Um den Text zu entschärfen und radiotauglich zu machen, änderte Edwards, der mit LSD rein gar nichts am Hut hatte, den Refrain in „Freak out“. In dem Lied sollte es seiner Meinung nach um das Ausflippen auf einem schlechten Trip gehen. Das hätte aber nicht zur wohligen Melodie gepasst. Rodgers griff den Refrain auf, deutete „Freak out“ jedoch in einen neuen Tanzstil um, bei dem die Meute ausflippen sollte: Just come on down to 54, find a spot out on the floor. So wurde aus dem Ablehnungsbescheid „Fuck off!“ der empfängnisfördernde Discohit „Le Freak“.

Als Nile Rodgers zwei Dekaden nach sersten LSD-Erfahrung auf einer Hausparty erneut auf Timothy Leary traf, schloss sich für ihn ein metaphysischer Kreis. Rodgers nennt diese kosmischen Zusammentreffen „Hippie Happenstance“ (statt happy happenstance). Das selten gebräuchliche happenstance steht für ein rein zufälliges Ereignis, aber bei Rodgers klingt es nach Fügung. „Ich verwende diesen Begriff seit den Sixties, seit meiner Begegnung mit den Freaks.“

Quelle
– Nile Rodgers: Le Freak (Autobiografie), London 2012.
– Alex Gernandt: König im Land der guten Grooves

Veröffentlicht von

andileser

Ich bin außer mir.