Loft Saves the Day

Der Italoamerikaner David Mancuso befeuerte die aufkommende Disco-Bewegung mit privaten House-Partys und erfand dabei die Afterhour. Seine Loft-Partys entwickelte er aus einer Kombination von House-Rent-Party und Kindergeburtstag.

Weil er bei einem Seitensprung seiner Mutter gezeugt worden war, wuchs David Mancuso die meiste Zeit in Kinderheimen und Erziehungsanstalten auf. Mit 18 Jahren verließ er die viel zu enge Kleinstadt und ging nach New York. Dort konnte er sein, wie er war, denn Mancuso war schwul. Auf seiner Suche nach billigem Wohnraum landete er in einem Industriegebiet am Broadway, mitten in Manhattan. Er bezog eine Fabriketage und residierte halblegal auf fürstlichen 250 Quadratmetern. Die Miete betrug nur $175, Nachbarn gab es kaum.

Mancuso ging viel aus. Am liebsten besuchte er die House-Rent-Partys in den Schwarzenvierteln, halböffentliche Privatpartys mit Essen, Livemusik und Eintritt zur Finanzierung von Mietschulden.

Mit 20 Jahren machte Mancuso seine LSD-Erfahrung und wurde ein Anhänger von Timothy Leary und dessen LSD-Buddhismus: „Ich baute mir sogar einen Yoga-Schrein, zum Meditieren und Trippen.“ Der Proselyt besuchte die Drogenberatungsstelle von Learys League for Spiritual Discovery im West Village und legte sich eine Ausgabe des Handbuchs „The Psychedelic Experience“ zu. Das Handbuch baut auf dem Tibetischen Totenbuch auf, das sich mit dem Zustand nach dem Tod und vor der Wiedergeburt beschäftigt.

Angelehnt an die Bardos des Totenbuchs stellte Mancuso mit seinem funkynagelneuen Tandberg-Tonbandgerät fünfstündige „Journey-Tapes“ zusammen, die beim Trippen als Soundtapete dienen sollten. Mancuso: „Ich organisierte intime Zusammenkünfte, an denen wir mit LSD experimentierten. Es waren niemals mehr als fünf Leute dabei. Einer blieb nüchtern, ein anderer nahm nur die halbe Pille und der Rest die ganze Ladung.“ Der musikalische Einstieg war eher meditativ und enthielt auch schon mal selbst aufgenommene Naturgeräusche; dann steigerte sich die Musik, um mit rhythmischen Nummern abzuschließen. Am Ende der Reise sollte man tanzend wiedergeboren werden und in die Welt zurückkehren.

Angelehnt an die Acid-Tests hielt Mancuso in seinem Loft außerdem LSD-unterfütterte Mixed-Media-Partys ab, bei denen Musik mit Filmprojektionen gemischt wurde. Das Ziel war das totale Kunstwerk, das möglichst alle Sinne stimulieren sollte. Dazu installierte er eine hochwertige Stereoanlage und spielte eigens zusammengestellte Tonbänder ab, die der Dramaturgie seiner Trip-Tapes folgten.

Anfang 1969 geriet David Mancuso auf einen Selbstfindungstrip. Er verschenkte seine Stereoanlage, seinen Besitz und gab schlechte Gewohnheiten wie das Rauchen auf. Mancuso hängte die Wohnungstür aus und meditierte stundenlang nackt vor seinem Buddha-Schrein. Die Suche nach seinem wahren Ich führte ihn schließlich ins Bellevue Hospital, in die Klapse. Allerdings verweigerte er die Medikation und blieb bei der Meditation.

Schließlich wurde David Mancuso bewusst, was ihm wirklich wichtig war: gute Musik, viele Freunde und eine angenehme Atmosphäre. Dieses Setting erinnerte ihn an seine ersten Lebensjahre im Kinderheim, wo er einen erweiterten Begriff von Familie erfahren hatte. Im Heim gab es zwar keine Eltern, aber dafür rund 20 stetig wechselnde Geschwister. Die wichtigste Bezugsperson jener Jahre war eine Nonne namens Alicia. Schwester Alicia hatte ein Faible für Partys, und mindestens einmal pro Woche musste mit allen Kindern gefeiert werden. Mancuso: „Es gab Luftballons, Krepppapier, einen Kühlschrank, ein Klavier und einen Plattenspieler mit jeder Menge Schallplatten.“

Aus diesen Grundbausteinen bastelte sich David Mancuso seine Loft-Party. Während die Kinder aber noch Partyhüte aufhatten, Spiele spielten und Limonade tranken, trugen die Party-People ein schrilles Outfit, spielten verrückt und konsumierten Starkstrombrause.

Die erste Loft-Party fand am Valentinstag 1970 unter dem Motto Love Saves the Day statt. Im Gegensatz zu „Lucy in the Sky with Diamonds“ waren die Initialen bewusst gewählt. Zutritt bekamen nur Gäste mit persönlicher Einladung, allerdings durfte jeder einen Besucher mitbringen. Hautfarbe, Geschlecht oder sexuelle Ausrichtung spielten keine Rolle. Diese Eintrittspolitik garantierte eine bunte Mischung, jeder kannte jemanden und konnte dennoch genug neue Leute kennenlernen. Man betrat einen mit Luftballons und Girlanden ausstaffierten Raum, von der Decke hing eine Discokugel und in allen vier Ecken standen Lautsprecher aus edlem Holz. Mancuso wollte eine familiäre Wohlfühlatmosphäre um sich. Das Buffet bot Früchte, Nüsse und LSD-gespickte Obstbowle. Alkohol wurde nicht angeboten, denn dafür hätte es einer Ausschanklizenz („Liquor license“) bedurft, und die Party-Reihe hätte nicht mehr als privat gegolten.

Der Gastgeber war bis sechs Uhr morgens am Plattenspieler im Einsatz und spielte seine aktuellen Lieblingsplatten. Die Musik war meistens R&B, das heißt Soul und Funk. Die Stereoanlage war exquisit und direkt an den Raumklang angepasst. Die Houseordnung besagte, dass alle Titel ausgespielt werden, Mixen und Überblenden waren untersagt. Dafür durften sich die Gäste den nächsten Titel wünschen oder selbst Platten mitbringen. Dem Publikum gefiel’s. Die Party hob ab, man blickte sich in die Augen, zwinkerte sich zu, außersprachliche Phänomene traten in den Vordergrund, stellenweise ist von Telepathie die Rede.

Die Valentinsparty wurde ein voller Erfolg und verlangte nach Wiederholung, und auch die Wiederholung verlangte nach Wiederholung. Zum Jahresende 1970 standen die Leute Schlange, zumal die Loft-Party eine der wenigen Möglichkeiten war, bis in den Morgen durchzutanzen, denn reguläre Tanzhallen schlossen gegen drei Uhr. Auch die DJs schauten nach Dienstschluss vorbei und sammelten neue Eindrücke. Die Afterhour war geboren!

House-Ikonen wie Frankie Knuckles, Tony Humphries und David Morales bezeichneten David Mancuso als einen wichtigen Einfluss. Die Kult-DJs Francis Grasso, Larry Levan und Nicky Siano, später DJ im berühmt-berüchtigten Studio 54, waren Freunde von David Mancuso und regelmäßige Loftgänger. Nicky Siano war 14 Jahre alt, als er das erste Mal eine Party bei Mancuso besuchte. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder Joe mietete er sich ebenfalls ein Loft in Manhattan und eröffnete darin den Club „The Gallery“. Im Gegensatz zum Mancuso-Loft bedurfte es keiner persönlichen Einladung, sondern einer Mitgliedschaft. Allerdings konnte jeder Mitglied werden, sobald einer der akzeptierten Clubgänger bürgte. Die Party-Atmosphäre war sehr ausgelassen, wofür nicht nur der ausgeschenkte Acid-Punch verantwortlich gewesen sein dürfte. Alkohol war wegen der benötigten Liquor license nicht erlaubt, aber dafür alle üblichen illegalen Drogen.

Quellen
– Tim Lawrence: Love Saves the Day. A History of American Dance Music Culture, 1970–1979. Duke University Press 2003.
– Bill Brewster, ‎Frank Broughton: The Record Players: DJ Revolutionaries, New York 2010.

Veröffentlicht von

andileser

Ich bin außer mir.