1973 – Odyssee im Proberaum

Das Jahr 1973 markierte einen Übergang in der deutschen Rockmusik. Ein Übergang vom lärmenden Trommelworkshop hin zu meditativen Klanglandschaften. Weg von der alle Regeln umstoßenden Ekstase, auf zur grünen Reise durch den Weltinnenraum. Weg von der Gruppendynamik, hin zur Menschmaschine. Weg vom irdischen „Krautrock“, hin zur „Kosmischen Musik“.

Am 15. Februar 1973 traten die Formationen Klaus Schulze, Tangerine Dream und Ash Ra Tempel im Pariser Théâtre de l’Ouest Parisien (TOP) auf. Unter dem Motto An Evening with Kosmische Musik meisterten die Absolventen der Berliner Schule ihren ersten internationalen Auftritt und etablierten nebenbei die Bezeichnung „Komische Musik“. Am Abend zuvor waren sogar die Kollegen von Kraftwerk und Guru Guru aufgetreten.

Der Multiinstrumentalist Klaus Schulze betätigte sich zwischen Februar und Mai 1973 zum letzten Mal als Schlagzeuger obskurer Krautrock-Sessions, die hinterher mit „The Cosmic Jokers“ etikettiert wurden. Dann war für ihn Schluss mit den Trommelrhythmen. Fortan verzichtete Schulze auf kräftezehrende Bewegungen und noch anstrengendere Mitmusiker. Als Solokünstler reihte Klaus Schulze ausschließlich sphärische Klangflächen auf Synthesizern und Farfisa-Orgeln aneinander. Meditative Filmmusik für den inneren Film.

Nach dem Pariser Auftritt vom Februar 1973 verließ Gründungsmitglied Harmut Enke die Band Ash Ra Tempel, die damit nur noch aus Manuel Göttsching bestand. Auf sich allein gestellt, wollte Göttsching am Gruppencharakter festhalten und holte sich das Fotomodel Rosi Müller dazu. Mit ihr zusammen machte er im Sommer 1973 das Album „Starring Rosi“, das völlig anders klang, als die Alben davor und danach. Kein Bruch, sondern ein Übergang zu Solopfaden. Von Ash Ra Tempel zu Ashra.

Nach nur zwei Schallplatten legten Ralf Hütter und Florian Schneider ihr vierköpfiges Kraftwerk still und machten auf Sparflamme als Duo weiter. Im Jahr 1973 nahmen sie unter dem Namen „Ralf & Florian“ ein gleichnamiges Album auf. Es war das erste, auf dem Synthesizer (ARP Odyssey) zu hören waren. Kurz darauf wurde das Kraftwerk reaktiviert, um den Schlagzeuger Wolfgang Flür erweitert und die Laufzeit bis ins neue Jahrtausend verlängert. Der innovative Neuanfang, die „Autobahn“-Fahrt von 1974, brachte den Weltruhm, vor allem in den angelsächsischen Ländern. Von ihrem Frühwerk haben sich Ralf und Florian später distanziert, die ersten drei Scheiben zählen bis heute nicht zum offiziellen Kanon.

Im Juni des für sie hochproduktiven Jahres veröffentlichte die Hamburger Band Faust ihr Album „Faust IV“. Das Album beginnt mit ironischem Geschrammel. Der Titel: „Krautrock“. Damit war die ursprünglich abwertend gemeinte und provokant aufgefasste Bezeichnung britischer Medien offiziell in der deutschen Musikszene angekommen.

Die Kölner Band Can spielte im August 1973 das Album „Future Days“ ein. Es war das letzte Album mit ihrem Sänger Damo Suzuki.

Bei den Aufnahmen ihres zweiten Albums „Neu! 2“ traten die Gegensätze zwischen Klaus Dinger und Michael Rother offen zutage und die internen Spannungen vertieften sich. Michael Rother suchte sich neue Spielkameraden und tat sich mit Dieter Mœbius und Hans-Joachim Rœdelius von Cluster zusammen. Zusammen nannte man sich Harmonia und veröffentlichte zwei Schallplatten mit elektronischer Musik.

Bei Klaus Dinger sollte es noch zwei Jahre dauern, bis der aufbrausende Drummer das Drum-Kit beiseite stellte und elektronisch weitermusizierte. Gemeinsam mit seinem Bruder Thomas gründete er die Elektro-Formation La Düsseldorf und verkaufte laut Wikipedia insgesamt über eine Million Schallplatten.

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Mehr: Rüdiger Esch: Electri_City. Elektronische Musik aus Düsseldorf: 1970–1986. Mit einem Vorwort von Wolfgang Flür. Suhrkamp, Berlin 2014, S. 79-92.

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andileser

Ich bin außer mir.